Hike & Seek – Mehr sehen beim Wandern

Die Wandersaison neigt sich schon fast dem Ende zu – aber nur fast, und außerdem ist nach dem Sommer vor dem Frühling! Auf jeden Fall möchte ich euch hier noch eine App vorstellen, die Wanderungen (noch) interessanter macht. Sie ist erst seit wenigen Wochen auf dem Markt und deswegen auch noch ziemlich unbekannt.

Vorab müssen wir allerdings die Voraussetzungen klären:

  • Kommst du aus Nordrhein-Westfalen? Oder kennst du in NRW jemanden, der gern wandert? Ja? Gut.
  • Hast du ein iPhone? Oder kennst du in NRW jemanden, der gern wandert und ein iPhone hat? Ja? Gut!

Hike & Seek ist bislang nur für iPhones verfügbar und enthält nur Wanderrouten in NRW. Nein, alle anderen Bundesländer werden nicht absichtlich diskriminiert – leider sind dort die zugrundeliegenden Lidar-Daten nicht frei verfügbar.

Obwohl ich weder aus NRW komme, noch ein iPhone habe, hatte ich erfreulicherweise die Gelegenheit, Hike & Seek während zweier Wanderungen direkt mit dem App-Entwickler Rouven und seiner Partnerin Julia testen zu können. Aber von vorne – um was geht es denn überhaupt?

Wandern und dabei „mehr“ sehen!

NRW bietet abseits der Städte wunderschöne Natur mit Seen, Sümpfen und Wäldern, die ihr auf unzähligen Wanderwegen erkunden könnt. Ist einer gemütlichen Wanderung bei schönem Wetter noch etwas aufzusetzen? Klar, dachte sich Rouven Meidlinger, und entwickelte kurzerhand eine App für Smartphones, die euch eine Art „Röntgenblick“ für die Umgebung verleiht. Denn die bietet noch viel mehr als „nur“ idyllische Landschaften.

Nicht umsonst spricht man schließlich vom „Bodenarchiv“, in dem sich Hinterlassenschaften vergangener Zeiten erhalten haben, etwa

  • alte Wege
  • alte (Höhen-)Siedlungen
  • Kohlenmeiler
  • Hügelgräbern
  • Kriegsschauplätze wie Stellungen, Schützengräben und gesprengte Bunker

Diese Strukturen sieht man häufig gar nicht, wenn man nicht weiß, dass sie da sind. Die „Points of Interest“ sind überwachsen, liegen zu weit abseits des Weges außer Sicht oder man übersieht sie einfach. Die neue App Hike & Seek macht den Boden aber sichtbar und verbindet Outdoor mit digitalen Geländemodellen. Die Rede ist von Light Detection and Range (kurz: Lidar), einem Verfahren, das für Leser meines Blogs möglicherweise nichts Neues ist. Mit Lidar ist es möglich, einen Blick unter Blätterdächer und Gebüsch direkt auf den Erdboden zu werfen.

Auch Rouven ist für mich kein unbeschriebenes Blatt – erst vor wenigen Monaten schrieb ich auf meinem zweiten Blog einen Beitrag über seine Software planlauf/TERRAIN, mit der ihr hochauflösende Lidar-Scans in Geländemodelle umrechnen und auf einem Tablet sogar mit ins Gelände nehmen könnt. Die professionelle Grundlage für weitere Anwendungen ist also da. Wer planlauf/TERRAIN nutzen möchte, muss sich ein wenig in die Materie einlesen und sich auf die Suche nach nutzbaren Lidar-Daten machen. Mit Hike & Seek stellt Rouven nun eine extrem einsteigerfreundliche App speziell für Wanderer bereit: Runterladen, installieren, Route auswählen und los geht’s!

Was genau macht Hike & Seek?

Hike & Seek, ein treffendes Wortspiel aus Hide and Seek, dem englischen Begriff für „Verstecken spielen“, richtet sich an Wanderer, also Hiker, die mehr wollen als Feld, Wald und Wanderweg. Abseits des Weges gibt es viel zu sehen, und Hike & Seek hilft dabei, diese Points of Interests zu suchen bzw. finden („seek“).

Dazu kannst du das Gelände bzw. die Ansicht mit einem oder zwei Fingern komplett frei drehen und zoomen. Normale Karten oder auch Reliefs sind in der Regel nur zoombar. Hike & Seek nutzt aber tatsächlich ein GeländeMODELL, das als 3D-Objekt daher auch aus verschiedenen Winkeln betrachtet werden kann.

Vordefinierte Wanderrouten

„Jaja, das ist ja alles interessant, aber ich weiß nicht, wo ich wandern soll!“ – Eine gern bemühte Aussage, die ich auch von mir zu gut kenne, wenn ich denke, ich könnte mal wieder Drohne fliegen gehen >.< Und normalerweise wird’s dann auch nichts. Zu wenig Lust hat man schließlich auf die Recherche, wo man hingehen könnte. Aber nicht bei Hike & Seek. Das zweite große Feature der App ist nämlich eine Handreichung: Komm her, du brauchst nicht nachdenken, ich zeige dir, wo du wanderst!

Entwickler Rouven ist selbst begeisterter Wanderer und spricht andere Naturbegeisterte direkt an, indem er fast 200 vorgefertigte Wanderwege in ganz NRW in die App integrierte. Darunter finden sich unterschiedlichste Schwierigkeitsgrade und Tourenlängen. Bei der Auswahl der Routen orientierte er sich an offiziell ausgeschriebenen Wanderwegen. Als Startpunkt dient dabei immer ein zugehöriger Wanderparkplatz, dessen Adresse auch gleich mitgeliefert wird.

Für die Auswahl geeigneter Routen gibt es einen Filter, in dem du festlegen kannst, in welcher Region du wandern möchtest, wie lang die Tour sein darf und welchen Schwierigkeitsgrad die Strecke haben soll. Die passenden Routen bekommst du dann zusammen mit einer kurzen Beschreibung und ein paar formalen Daten (Länge, geschätzte Dauer, zu überwindende Höhenmeter) angezeigt. Alles was du tun musst: Route auswählen, zum Startpunkt fahren, Wanderschuhe schnüren und die Tour starten.

20 Routen sind kostenlos dabei, die restlichen Routen schaltest du gegen No-Brainer-Beträge von maximal 3,49 € im App Store frei und kannst sie dann uneingeschränkt nutzen, auch auf anderen Geräten (Apple ID-Bindung). Länge, Anstieg, Verlauf und das Geländemodell jeder Wanderung kannst du dir auch ohne App schon auf der Website von Hike & Seek anschauen.

Verlaufen? Unmöglich!

Hike & Seek zeigt die ausgewählte Route im digitalen Geländemodell an und du siehst jederzeit, wo du dich selbst befindest. Entfernst du dich zu weit von deiner Route, dann macht das Handy durch Vibrationsalarm darauf aufmerksam (allerdings nur, wenn das Display eingeschaltet ist). Ja, so funktioniert Wandern heute! Natürlich ist das Verlassen des Weges zur Erkundung von merkwürdigen Strukturen abseits des Weges nicht nur in Ordnung, sondern sogar Sinn der Sache. Sobald du dich danach dem Weg wieder näherst, vibriert das Smartphone erneut. Du musst nur darauf achten, nicht versehentlich ein Naturschutzgebiet zu betreten.

Du kannst außerdem jederzeit ein Profil deiner Route und deine eigene Position darin einblenden, so dass du dich psychisch gegen streng aussehende Anstiege wappnen kannst 😀 Eine Übersicht über Gesamtlänge, geschätzte Gehdauer und zu überwindende Höhenmeter bekommst du natürlich schon vor dem Start einer Route. Um deine Position anzuzeigen, muss GPS immer eingeschaltet sein. Das zieht natürlich viel Strom und du solltest ggf. eine Powerbank einpacken, um dein Gerät unterwegs mit frischem Saft zu versorgen. Es hilft übrigens, während des Wanderns den Flugmodus einzuschalten und damit den Akku zu schonen.

Schlanker Funktionsumfang

Obwohl dein Handy mit GPS deine Position feststellt, hat Hike & Seek keine Tracking-Funktion integriert. Du kannst also deine tatsächlich gegangene Route nicht speichern und exportieren. Auch Marker kannst du nicht setzen. Wenn du eine Position für später markieren möchtest, kannst du einen Screenshot machen. Wenn du deine Route tracken möchtest, musst du dazu einen zusätzlichen Tracker nutzen, auf Android z.B. MyTrails.

Hike & Seek ist bewusst schlank gehalten. Die App macht genau das, was hier beschrieben wird: Routen in Geländemodellen anzeigen und den eigenen Standort im Geländeausschnitt anzeigen. Mehr gibt es nicht. So ist sichergestellt, dass auch ältere Geräte die Anwendung flüssig darstellen können.

Streckenprofil
Eigene Position im Geländemodell und im Streckenprofil

Wünschenswert wären allerdings noch weitere Funktionen und Informationen wie

  • Übersicht über vorhandene Points of Interest in den Routenbeschreibungen, etwa „In der Umgebung dieses Weges können Sie mehrere mittelalterliche Hohlwege finden.“
  • Markierungen in der Übersicht der verfügbaren Routen: Welche davon man schon gelaufen ist und vielleicht auch, wie lange man dafür gebraucht hat – als bleibender Erfolg sozusagen
  • Ein Kartenoverlay mit Naturschutzgebieten in NRW, die sehr kleinräumig sind. Das könnte verhindern, dass Wanderer versehentlich bzw. ungewollt in Naturschutzgebieten herumstolpern
  • Identifizierungshilfen: Ein paar Beispiele, mit denen unerfahrene Nutzer häufige Strukturen im Geländemodell gezeigt bekommen, etwa „So sieht ein verlassener Steinbruch aus, und das hier ist ein Schützengraben“. Ganz ohne Starthilfe könnte es sonst sehr schwierig werden, denn:

Interpretieren musst du selbst

Die App macht es kinderleicht, abseits der Wege Erhebungen, Gruben und sonstige Strukturen zu entdecken. Die Interpretation bleibt aber dir, dem Nutzer, vorbehalten. Es gibt keine Hinweise dazu, was du vor dir hast. [Rouven zeigt auf der Hike & Seek-Website einige Beispiele, wie Lidar-Bodenstrukturen zu deuten sind. Das ist nicht und hilfreich, sondern auch wahnsinnig interessant!] Oft genug stehst du vor einer Grube oder einem Graben und fragst dich nun: Was zur Hölle ist das, woher kommt das? Wer hat das gemacht, wozu ist es da? Und leider gibt es auch in den seltensten Fällen direkt vor Ort eine Infotafel, die diese Fragen beantwortet.

Deswegen ist es hilfreich, über die Geschichte der Region Bescheid zu wissen. Befindest du dich etwa an einem Weltkriegsschauplatz, dann ist die Chance groß, dass das Loch vor dir ein früherer Schützengraben oder eine MG-Stellung ist. Oder auch ein Bombentrichter. Gräben könnten aber auch deutlich ältere Hohlwege sein. Hike & Seek lässt dich also selbst nach des Rätsels Lösung „seeken“. Aber Rouven beruhigt: Je mehr Bodenstrukturen du siehst und interpretieren kannst, desto leichter wird es. Am Ende ist der Boden für dich ein offenes Buch und du musst nicht mehr lange überlegen. Eine gute Idee wäre z.B., dich mit einer strategischen Karte über Stellungen aus dem 2. Weltkrieg auf den Weg zu machen. Diese alten Stellungen kannst du dann suchen und hast sie durch die Karte auch gleich identifiziert. So kommt langsam die Übung.

Eine weitere interessante Erkenntnis durch die App-Nnutzung ist diese: Menschengemachte Strukturen gibt es überall. Siehst du im Geländemodell irgendwas, was nicht zur Wiese gehört, dann ist da auch irgendwas. Auffällige Hügel und Gruben entstehen nicht einfach so.

Als wir mit Rouven und Julia entlang der Struffelt-Route durch ein Moor wanderten, tendierte ich dazu, trotz deutlicher Anzeige in der App so manche Struktur zu übersehen. Erst als Rouven nachfragte, ob es hier nicht was zu sehen gäbe, wurde mir klar: Na sicher, diese Grube da drüben ist doch irgendwas. Also gehen wir mal hin und schauen nach. Rätselnd stehe ich schließlich vor der Grube.

Rouven: Und, was ist das?
Ich: Mmmmh, keine Ahnung. Eine Grube.
Rouven: Ja, aber was für eine, was siehst du?

Rouven ist da sehr geduldig und hat glaube ich auch eine hämische Freude daran, ungeübte Appnutzer herumraten zu sehen 😀

Ich: Najaaaa, sieht einfach aus wie ein … Loch… im Boden…
Rouven: Sehr gut. Und weiter? Da am Rand ist eine Absenkung.
Ich: Jaaaaaa, schon… Ein … Fuchsbau?
Rouven: Nein. Eine MG-Stellung, da war der Eingang.
Ich: … Oh. (Und was ich dachte: Oh, verdammt. Ich steh hier rum und rede von Fuchsbauten, dabei saßen hier vor Jahrzehnten Menschen und waren darauf gefasst, auf andere Menschen zu schießen. Oder vielleicht wurde auch auf sie geschossen und vielleicht sind sie hier sogar gestorben!)

Also – Wenn Lidar dir was zeigt, und es sieht noch so unscheinbar aus, dann kann trotzdem eine Geschichte dahinter stecken. Hike & Seek bringt dich dazu, dich mit der Umgebung und mit ihrer Geschichte zu beschäftigen.

Zusammenfassung

Plattform: iPhone (Apple App Store)
Für wen: Neugierige Menschen in Nordrhein-Westfalen, die gern wandern
Kosten: Kostenlose App, 20 Routen sind kostenlos, weitere gegen einen kleinen Beitrag

Eine einsteigerfreundliche App mit Lidar-Daten für Wanderer? Wow, her damit! Obwohl ich selbst leider nicht zur Zielgruppe gehöre, hat mich das Prinzip von Hike & Seek begeistert.

Es ist nicht ganz einfach zu erkennen, was all die „Gelände-Features“ abseits der Wege genau darstellen. Jedenfalls nicht ohne beratende Hilfe durch einen Profi wie Rouven. Wenn es hier noch ein wenig erklärendes Anschauungsmaterial gäbe, könnte das den Einstieg deutlich vereinfachen. Wenn man aber erstmal ein wenig Routine darin hat, dann bietet Hike & Seek eine deutliche Aufwertung jeder Wanderung – denn dann sieht man nicht nur Büsche und Bäume am Wegesrand, sondern bekommt einen direkten Einblick in die Vergangenheit!


Hinweis: Anreise und Übernachtung hat uns Rouven bezahlt. Damit könnte man ggf. urteilen, dass eine Form von Kooperation oder Sponsoring bestand. Hätte ich ein iPhone, hätte ich mir die kostenlose App allerdings auf jeden Fall auch ohne „Reise zum iPhone“ heruntergeladen. So oder so: Der Beitrag spiegelt meine persönliche Meinung wieder: Hike & Seek ist einfach eine ein tolles Sahnehäubchen für die Wanderung!

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